Projekt

„Scharfrichterhaus“,
Am Plantagenplatz
in Werder an der Havel

1640 erbaut als Haus des Scharfrichters und Abdeckers
Umbau, Instandsetzung und Modernisierung: 1997 bis 1999
heute: Gaststätte und Wohnung im Obergeschoß

Zur Geschichte des Hauses
Im Jahre 1610 erhielt der Brandenburger Scharfrichter Hans Möller vom Kurfürsten Johann Sigismund (1608−19) - Kurfürst von Brandenburg - die Genehmigung, ein Haus zu errichten. Das Haus lag damals auf freier Flur vor den Weinbergen an der Straße nach Brandenburg. Der Scharfrichter war auch Abdecker. Er holte totes Vieh ab und verwertete es. Für diese Arbeiten wurden Nebengebäude gebraucht.
Wahrscheinlich standen schon früher neben dem eigentlichen Wohnhaus (rote Fassade) Schuppen und Ställe. Auf der Karte aus dem Jahre 1680 (der sog. Atlas von Suchodoletz) sind ein eingezäuntes Gehöft und unweit davon entfernt auch ein Galgen eingezeichnet.
Das Haus des Scharfrichters war bis in die Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts das einzige Wohnhaus vor der bewohnten Insel Werder. Heute steht das Ensemble – bestehend aus vier Gebäudeteilen – in einem begrünten innerstädtischen Raum, auf dem Plantagenplatz. Die Gebäude haben seit jener Zeit die unterschiedlichsten Nutzungen erfahren und sind verändert worden. Das Haus A /(rot) ist das älteste.
Bauherrin und Architektin
Die Eigentümerin − eine Werderaner Bürgerin − kaufte das Haus Anfang 1997 von der Stadt Werder.
Zum Haus
Die Gebäude standen jahrelang leer, waren unbeheizt, und Wasser drang in das Gebäudeinnere ein. Es war Eile geboten. Vor Baubeginn konnte keine Nutzung präzise definiert werden. Deshalb wurde im Planungs- und auch Bauablauf anders vorgegangen. Zuerst wurde entrümpelt, gesichert und instandgesetzt. Dafür wurde ein Grundriß definiert, der kaum Eingriffe in die Geometrie des Hausensembles erforderlich machte und viele wünschenswerte öffentliche Nutzungen in diesen Gebäuden zuließ.
Dann wurde an fiktiv mögliche (immer noch variable) Nutzungen der Häuser A (Haupteingang vom Platz), D und B gedacht. Über eine gemeinsame Diele, die gleichzeitig als Windfang dienen soll, sind im linken Teil des Gebäudes auch gastronomische Aktivitäten möglich (hier gibt es nun eine Küche und WC’ s), in den rechten Teil des Hauses A könnten Galerien, Läden, Büros und anderes mehr einziehen.
Auf jeden Fall sollte eine kleine Wohnung eingefügt werden. Das Nutzungskonzept (diente auch zum Erlangen der erforderlichen Genehmigungen und denkmalrechtlichen Erlaubnisse, denn das Grundstück liegt im Sanierungsgebiet der Stadt) berücksichtigte die vorgefundene Hausstruktur. Die vorgefundene Bausubstanz des Hauses konnte so erhalten und geringfügig verschiedene „Änderungsspuren“ an und in den Gebäuden zitiert werden.
Bestandsaufnahme – Dokumentation
Während der gesamten Bauzeit wurde parallel gearbeitet und über drei Jahre fortgeschrieben: Bestandsaufnahmen, u. a. ein Raumbuch, Aufmaße (je nach Baufortschritt und Freilegung), begleitende Fotodokumentation, Sicherung originaler Bauteile wie Fensterbeschläge, Klappläden, Mauersteine Pflaster, Findlinge, Knochen, u. a. m. und − parallel zum Baugeschehen − Recherche in Archiven zur Geschichte des Hauses und des städtebaulichen Umfeldes, skizzenhafte planerische Vorstellungen hinsichtlich der zukünftigen Nutzungen, Suche nach geeigneten Handwerkern (Probearbeiten).
Das Baudenkmal − ein restauratorisches Gutachten
Unverzüglich wurde ein restauratorisches Gutachten in Auftrag gegeben. Es befaßte sich u. a. mit Untersuchungen zu Farbfassungen an den Fassaden. Es wurden auch die noch vorhandenen Innentüren, die unterschiedlichen Holzfenster und Klappläden, die Putzflächen, der Sockel und das Traufgesims untersucht. Die fotografische Dokumentation der Befundstellen und die Farbaufstriche für die einzelnen Untersuchungsbereiche waren eine gute Arbeits-¬ und Entscheidungshilfe.
Der vorgefundene und der neue Grundriß
Um eine große Flexibilität, die auch in der verschiedenen Zuordnung bzw. möglichen Erschließung und „Verklammerung" der einzelnen Räume in den einzelnen Häusern zu sehen ist, zu erreichen, wurden beispielsweise sämtliche vorhandenen Öffnungen nach außen belassen. Es gibt nun also sieben Türen, die ins Freie führen. Darüber hinaus wurden zwei Fensteröffnungen im Hof (Haus B) wieder schmaler „rückgebaut“ und zu Fenstertüren verlängert. Damit wurde gleichzeitig Licht in diesen Gebäudeteil „geholt“ und vor allem eine enge Verbindung zwischen Hof und Innenraum erreicht.
Im Haus A gab es jedoch eine Änderung im Grundriß: Es wurde die Mittelwand entfernt, um wenigstens einen großen Raum zu erhalten. Die Deckenbalken lagen jedoch auf dieser Mittelwand auf. Es wurden Leimbinder als tragende Konstruktion zum Abfangen der Lasten und Gliederung des Raumes gewählt. Diese wurden nur weiß lasierend gestrichen, um die „moderne“ Holzkonstruktion nicht zu verunklaren.
Der Durchbruch von Haus A zu Haus B war schon vorhanden ( dieser Teil wurde in den 60er Jahren als Kindergarten genutzt). Man beließ es dabei, ließ auch den Höhenunterschied im Fußboden bewußt bestehen, um klar zu zeigen, daß es sich hier um zwei Gebäude handelte, die ursprünglich so nicht zusammengekoppelt gewesen waren.
Haustechnik
Die konservatorische Grundhaltung hatte u. a. auch Konsequenzen hinsichtlich der neuen haus¬technischen Ausstattung. Die Gebäudegruppe wurde ohne technische Räume (Heizung, Elektro, Wasser, Abwasser) hergerichtet.
Bei den ersten Ausschachtungsarbeiten und Entfernen der Betonfußböden zeigte sich, daß das gesamte Gebäudeensemble im Fundamentbereich von dicken Wurzeln durchzogen war. Um das Haus langfristig und nachhaltig zu sichern, mußten alle Böden von diesem Wurzelgeflecht (z.T. mit bloßen Händen) befreit werden. Da die Räume auch klein und nicht unterkellert waren, wurde eine Fußbodenheizung im Erdgeschoß (außer in dem Raum des Hauses A, der unterkellert ist und höher liegt) gewählt.
Sofort nach den Schachtarbeiten wurden abschnittsweise und in enger Kooperation der ausführenden Firmen die PE-Rohre für die Wasserversorgung und die Grundleitungen im Fundamentbereich verlegt.
Es wurden zwei getrennte Heizsysteme auf dem Dach − im Dachraum nebeneinander im Haus C − installiert. Eine Therme versorgt die Wohnung mit Wärme und auch mit Warmwasser, die zweite Therme ist für die Beheizung des gewerblichen Bereichs.
Komplizierter war es, WC’s und eine Küche für die gewünschte Bewirtung von Besuchern (zumindest mit Getränken, Eis und kleinen Speisen) so anzuordnen, daß keine großen Schlitz- und Umbauarbeiten vorgenommen werden mußten. Hier wurde vor der vorhandenen Fachwerkwand installiert und dann vermauert.
Schornsteinköpfe wurden neu aufgemauert. Sie werden z. T. für den Anschluß von Einzelöfen vorgehalten, aber auch für die Belüftung der Abwasserleitungen genutzt. Der große vorhandene Kamin im Haus A ist auch wieder funktionstüchtig.
Recycling und das Prinzip der Trouvé-Tradierung im Inneren
Alles, was an Originalsubstanz noch irgendwie genutzt werden konnte, wurde erhalten bzw. aufbewahrt und an anderer Stelle wieder eingebaut. Nicht nur der Art, Größe und dem Zustand der Räume selbst wurde Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch dem Detail und somit dem „empfundenen Charakter“ der Gebäude Rechnung getragen.
Beispielsweise wurden die Fußböden raumweise ausgestattet, d. h., es entstand eine Art Patchwork. Es wurden u. a. Schamottesteine (noch übrig aus DDR-Produktion) verwendet, aber auch einfache, aus Abbrüchen in anderen Häusern eingesammelte Mauerziegel auf den Estrich verlegt. Diese wurden dann verfugt, abgeschliffen (wie Terrazzo) und mehrmals geölt. Die ursprünglich vorhandene Dacheindeckung mit als Biberschwanzziegeln in Kronendeckung wurde nicht mit fabrikneuen Dachziegeln versehen. Dies schien zu kalt und „neu“.
Die Lebendigkeit alter Dächer sollte gewahrt werden. Bei einem Händler in Berlin konnten Ziegel aus der Region gefunden werden. Diese waren kurz zuvor in den Beelitzer Heilstätten abgedeckt worden. Die Kehlen wurden eingebunden. Lange wurde darüber diskutiert, ob es nicht angemessen wäre, die einzelnen Dächer als „abgeschnitten“ auszubilden. Aber da die einzelnen Gebäudeteile in ihrer Gesamterscheinung sehr dicht und kleinteilig sind, wurde zugunsten einer ruhigen, harmonischen „Dachfläche über alles“ darauf verzichtet.
Es wurden immer wieder Entdeckungen gemacht, auf die auch eingegangen wurde: So blieb zum Beispiel eine konstruktive Besonderheit bestehen: In einem Raum (Haus A) waren die Deckenbalken dicht aneinandergelegt worden. Hier wurde die Decke nicht wieder verputzt, sondern die Balken nur manuell gesäubert und geölt und die Fugen mit (dunkelfarbiger!) Schafwolle ausgestopft.
„Schöne“ Blecharbeiten
Die Instandsetzung der Gebäudehülle beinhaltete auch diverse Verblechungens. Die Verkleidung der neuen Gauben (Hofseite Haus B) mit Titanzinkblech war sehr zeitaufwendig und auch handwerklich kompliziert.
Der Handwerker sah sich außerstande, diese Arbeit vorher zu kalkulieren, so daß dann vereinbar wurde, diese Arbeiten auf Nachweis durchzuführen. Mit einer ortsansässigen Firma, die Freude am gelungenen Detail hat, wurden alle Arbeiten ausgeführt.
Es wurden sogar bei kleinen Details Muster gefertigt, die der Laie vielleicht nicht bemerkt (Gliederung der Regenrinnen mittels kleiner aufgesetzter Zierelemente, eine Wetterfahne wurde nach einem Entwurf der Architektin gebaut u. a. m.).
Elektroinstallation
Das Verlegen sämtlicher Kabel (Telefon, Kabel für Alarmanlagen, TV und Elektro) war in einer Hand. Das war sehr vorteilhaft und effizient. Zuerst war überlegt worden, ob ein Bussystem eingesetzt werden sollte, da ja die Nutzungen nicht feststanden und hohe Flexibilität und Variabilität gefragt waren. Im Jahre 1997 waren aber die Zahl der zur Verfügung stehenden Komponenten und die Erfahrungen des Handwerkers noch begrenzt, so daß man schließlich darauf verzichtete.
Es wurden alle „realistischen“ Nutzungsmöglichkeiten durchdacht und dafür dann auch schon die Anschlüsse vorgesehen, u. a. für Einbruchsicherungen, Wandauslässe für diverse Bewegungsmelder, Außenbeleuchtung, Steckdosen auch im Fußbodenbereich, Anschlüsse für verschiedene Küchengeräte wie Kaffeemaschine, Kühlaggregate, u. a. m. Als Besonderheit soll nur erwähnt werden, daß der Zählerschrank in Absprache mit dem EVU auf dem Dachboden angeordnet wurde (Haus A). Auch der Hauptanschluß konnte belassen werden. Er befindet sich in der Eingangsdiele (Haus A) in einer Fensternische und wurde verkleidet.
Die neue Farbigkeit des Ensembles
Es sollten sowohl die älteste vorgefundene Farbigkeit des ehemaligen Wohnhauses des Scharfrichters gezeigt als auch verschiedenste Überformungen und somit Veränderungen der Gebäudeteile dokumentiert und auf Eingriffe und neue Lösungen hin¬gewiesen werden. Einfache Grundtöne und das Rostrot für das älteste Gebäude des ehemaligen Wohnhauses waren von Anfang an klar. Aber dann wurde es schwierig. Die Denkmalpflege und die Stadt wünschten sich grau gestrichene Fassaden der anderen Gebäude (B und C).
Die Architekturauffassung unterscheidet jedoch zwischen historisch authentisch und zeitgemäß. Es gibt keine vergleichbaren Hofanlagen in der Umgebung in solch exponierter städtebaulicher Lage und mit dieser Geschichte. Deshalb schien die gewählte Farbkomposition gerechtfertigt.
Das für Haus C verwendete Blau ist eine Farbe, die es damals nicht gab, um Häuserfassaden anzustreichen, und läßt das rote Haupthaus völlig unbeeinträchtigt in seiner Ausstrahlung, zumal die verschiedenen Gebäudeteile kaum auf einen Blick zu erfassen sind. Die geschmacklichen Erörterungen dauerten lange, schließlich konnten doch die drei Farben (rot, blau und ocker) gestrichen werden und dazu „passend“ die Klappläden. Die neuen Außentüren aus Holz wurden holzsichtig belassen (nur gegen Vergrauung pigmenthaltig lasiert), um Alter und Konstruktion bzw. gewähltes Holz zu zeigen.
Die Zusammenarbeit mit den Handwerkern
Da einige Handwerker bereits Erfahrungen mit Architektin und Bauherrin hatten, wurden deren Anordnungen hinsichtlich Verwendung von Baumaterial und Erhaltung der Originalsubstanz ernstgenommen. „Neue“ Handwerker mußten jedoch täglich betreut und auch kontrolliert werden.
Sehr zeitaufwendig war und ist auch immer noch die Beschaffung von einfachen Baumaterialien. So wurden z. B. sämtliche alten Mauersteine aus Glindow (gelblich) gesammelt, um diese dann zum Pflastern der Wege, aber auch zum Vormauern der Innenwand zwischen Gewerbe und Wohnung (EG Haus C) zu benutzen. Hier jedoch konnten Handwerker oft gute Tips geben. Sie wußten, wo wieder Bauten abgebrochen wurden.
Eine der zeitaufwendigsten Arbeiten war das Säubern des hölzernen Dachstuhles im Haus A. In diesem Fall wurde eine Zwischenlösung gefunden: das Dach wurde mit Holz abgeschalt, die Dachkonstruktionshölzer gründlich entstaubt und schließlich eingeölt. Ein weiterer Ausbau wurde nicht vorgenommen.
Die anderen Dächer wurden zwischen den Sparren gedämmt. Sämtliche Heizungsrohre und Kabel wurden in den Traufbereichen der Dächer entlanggeführt und dann nach unten in die Räume des Erdgeschosses gelegt. Nur im Haus C wurde ein Teil des Dachraumes (Südrichtung) der Wohnung zugeordnet, die sich nun über zwei Geschosse erstreckt.
Die Freiflächen
Als Einfriedung dient ein frei entworfener filigraner schmiedeeiserner Zaun entlang der Kemnitzer Straße der jeweils an die Torpfeiler anschließt, so wie es ortstypisch im Raum Werder ist. An der Westseite führt er drei Meter entlang bis zum Gebäude (Haus C Giebel).
Die ursprünglich als Einfriedung dienenden, vorhandenen Zaunfelder wurden in den rückwärtigen Bereichen an der Straße zum Plantagenplatz wieder verwendet und auch mit einem grauen Farbanstrich versehen.
Der Innenhof ist mit verschiedenen Platten (als Wegeführung) belegt.
Das wiedergefundene Traufpflaster (im Hof am Haus A) konnte erhalten werden, da die alten Geländehöhen wiederhergestellt wurden. Dadurch liegt jedoch eine Hoftür zum Haus C sehr tief.
Der Vorplatz vor dem Haupthaus (A) zum Platz wurde ebenfalls mit (gestempelten) alten Glindower Abbruchziegeln belegt und durch vorhandene farbige Betonplatten, die zu DDR-Zeiten produziert worden waren, gegliedert.



 


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