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Sitzen verboten! Auch nach dem städtebaulichen Wettbewerb: keine Lösung für den Bahnhof in Sicht Wenn man das erste Mal mit dem Zug in Braunschweig ankommt und aus der Bahnhofshalle tritt, dann fragt man sich: „Wo ist hier eigentlich die Stadt?“. Im Jahre 1953 war alles noch anders: Es gab einen sehr schönen Kopfbahnhof, der direkt in der Innenstadt lag. In jenem Jahr war entschieden worden, dass ein neuer Durchgangsbahnhof gebaut werden sollte – genau an der Stelle, wo er heute steht. Kämen „die Prinzen“ heut hier in Braunschweig an, dann würden sie wahrscheinlich sofort ihr Lied „Küssen verboten“ in „Sitzen verboten“ umschreiben. Der kalte hohe Keks von Bahnhofshalle ist schon ein Denkmal nach dem Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz und kann nicht einfach umgebaut werden. Weil Bahnen, Busse und Taxen, Fußgänger und auch alte Leute und sogar Behinderte den Bahnhof benutzen möchten (und zwar möglichst bequem), versucht die Stadt seit vielen Jahren, einen Wettbewerb auszuloben, um diese unerträglichen Zustände zu verbessern. Zuerst war kein Geld da, dann gab es sehr unterschiedliche Meinungen, wie so ein Bahnhof umzugestalten ist, aber dann war es soweit: Von den 40 Büros, die sich bewarben, wurden 12 ausgewählt. Neben der „Lieblingsliste“ des Stadtbaurats wurden schließlich noch andere Büros „ausgewählt“ – alles Architekten, die schon einmal irgendwo auf der Welt Bahnhöfe geplant hatten. Vom Rat der Stadt gab es 100.000 DM Bearbeitungshonorare und städtebauliche Vorgaben. Auffallend: Das Fachpreisgericht war – wie könnte es auch anders sein! – wie immer nur mit Männern besetzt. Dafür war die Informationsschrift recht frauenfreundlich formuliert; das reicht dann auch erst einmal! Folgt man den formulierten Aufgaben aus der Informationsschrift zum beschränkten städtebaulichen Wettbewerb, kann man nur staunen. Alles soll in diesem neuen Bereich möglich und attraktiv sein: die Fahrradplätze, die PKW-Einstellplätze für Kurz- und Langzeitparker, das Informationszentrum, die Straßenbahnhaltestelle, die Sichtachsen, die „Bahnhofsfunktion“ (was ist das?). All das sollte ganz dicht und ganz nah und wunderbar sicher angeordnet werden. Und der Bahnhof selbst? Er sollte natürlich ein „attraktives Erscheinungsbild“ bekommen, eine Kundenfreundliche Eingangshalle, nutzerfreundlichen Zugang zu den Bahnsteigen. Darüber hinaus waren gefordert: Verbesserung der Gestaltung und der Funktionstüchtigkeit der Bahnsteige, funktionsfähige Anordnung der Nutzung u. a. m. Ein Modell im Maßstab 1:1000 war zu erstellen, streichholzschachtelgroß darin der Bahnhof. Einen ersten Preis im Wettbewerb gab es nicht, dafür zwei 2. Preise. Beim ersten Gewinner heißt es u. a. unter der Rubrik „Stellplätze, Neubebauung-Nord“ – das ist der einzige Hauptzugangsbereich – „in Tiefgarage anzunehmen“. Auch im Süden sollte der Zugang verbessert und Parkplätze vorgesehen werden, auch hier hieß es im Entwurf „in TG anzunehmen“ Auch der zweite Preisträger (ein Braunschweiger Architektenbüro) bietet Überraschendes: in der Vorprüfung wird unter dem Punkt „Funktionserfüllung, Knotenausbildung“ festgestellt, dass dieser nicht nachgewiesen ist. Beim Öffentlichen Personennahverkehr sind „bestimmte Leistungen“ nicht erbracht. Bei den beiden Preisträgern fällt besonders auf, dass wie – wahrscheinlich von einem Schachspiel aus der Bauhauszeit entsprungene – Türmchen, so genannte Zwillingstürme, geplant waren. Denn ohne Hochhäuser kann man einfach keine Dominanten bauen, und Dominanten sollten schon sein. Das Preisgericht hat Protokoll geführt und sagt dazu: „Die runden Zwillingstürme sind eine formal logisch Ergänzung des dreieckigen Poststurmes“. Worin die Logik besteht, wurde nicht näher erläutert. Es wird wohl in nächster Zeit bei der sattsam bekannten Bahnhofsmisere beleiben. Der finanzielle und personelle Kraftaufwand zur Umgestaltung kann nicht so einfach fortgesetzt werden. Aber beim Hin- und Herlaufen kann man sich das Pflaster anschauen, welches damals sehr sorgfältig und in den unterschiedlichsten Varianten und Materialien auf dem Vorplatz bis in den Bahnhof hinein verlegt worden ist. Also nicht vergessen beim nächsten Bahnhofsbesuch: Klappstuhl mitbringen.C. Thömmes |
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