Auf der Suche nach der zukünftigen Stadt:
Beispiel Königslutter



Teil eines Stiches von Merian (1654)

Einführung
Im Rahmen der Sanierungsplanung in der Stadt Königslutter ist auch darüber nachgedacht worden große Bereiche der Innenstadt neu zu ordnen, wenn es gelingt, die Bundesstraße 1 zu verlegen. Damit wären Voraussetzungen geschaffen, die Innenstadt zu revitalisieren.
Ein besonderer innerstädtischer Schwerpunkt ist der Markt mit seinem unmittelbaren Umfeld als hervorragendes Zeugnis von Stadtgeschichte. Es wurden stadthistorische Belange für den Innenstadtbereich unter dem Aspekt der Stadträume  und der Stadtgestaltung in diesem Gutachten herausgearbeitet. Die Geschichte der Stadt wurde unter verschiedenen Gesichtspunkten nachgezeichnet (besonders Aspekte des Alltags und frühere Nutzungen). Dabei wurde vor allem auf historisches Kartenmaterial zurückgegriffen. Das Ergebnis des Gutachtens ist eine Einschätzung der stadträumlichen Situation und liefert Schlußfolgerungen für zukünftige Planungsaufgaben.
Die Stadt Königslutter , bis ins 20. Jahrhundert aus der Stadt Königslutter, der Gemeinde Oberlutter und dem Stift bestehend, liegt nördlich des Elms am Fluß Lutter im Landkreis Helmstedt. Um das Jahr 1800 wird sie als „ziemlich regelmäßiggebaut beschrieben. Entscheidende, über Jahrhunderte städtebaulich prägende Bereiche waren die Burg, das Dorf Lutter/Oberlutter, die Stadt Lutter und das Stift.

Koenigslutter Karte 1761
 
Publikation

Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen
1 / 1994, Seite 24 - 34

Ausschnitt aus einer Karte aus dem Jahre 1761.
Grundrißstruktur des Siedlungsbereichs mit Straßenverlauf und Numerierung der Gebäude  bzw. Parzellen. Besonders deutlich sind erkennbar: Lage der ehemaligen Burg (Amtssitz), Tor zur Burg, Verlauf des Flusses in Nordsüdrichtung, einzelne Grundstückszuschnitte (differenziert in Größe  und Zuschnitt).
Haupt- und Nebengebäude, Wachthaus auf dem Marktplatz, Querung der Amtsgasse durch die Lutter, Eingang zum im Osten gelegenen Amtsgarten
.

Die Burg
Die Burg, ein Königshof, war ursprünglich eine Art Raststelle. Solche Haltepunkte waren im Mittelalter üblich und befanden sich oft an den Handelsstraßen. Die genaue Lage ist  in Königslutter nicht bekannt.
Nach 1200 wurde eine Wasserburg erbaut, die sich direkt neben dem Fluss Lutter befand. Dieser versorgte dann auch die Burg und den Burggraben mit Wasser.
„Das Haupttor der Burg, dessen Torgebäude erhalten blieb, bestand im Süden. Ihm war eine Vorburg vorgelagert, die bis zur Lutter reichte , wo sich an der Amtsgasse, früher wurde dieser Weg Burgtweete genannt, ein zweites Tor befand.“
Im Jahre 1802 wird in einer Beschreibung die städtebauliche Situation wie folgt eingeschätzt: „… Das fürstliche Amt hat eine vorzügliche Lage mitten in der Stadt, ist mit einem Graben umgeben und der Sitz der Justizbeamten.“
Vor dem Haupttor (das auch heute noch erhalten ist) befand sich eine Zugbrücke, die den damals noch vorhandenen Graben, neben dem unmittelbar auch ein Teich war, überspannte. Die Brücke war wohl in so schlechtem Zustand, dass sie nicht mehr gefahrlos genutzt werden konnte.
Zum Amtsbereich gehörte auch eine Gaststätte. Diese lag in unmittelbarer Nähe, nämlich and er Ecke Amtsgasse / Marktstraße, von der Burg kommend in Richtung Marktstraße auf der linken Seite gelegen. An der ursprünglichen, nunmehr brachliegenden Stelle kamen wohl erst viel später (1722) ein Wachhaus und ein Holzhaus (für die Feuerspritzen) hinzu.
Im Mittelalter soll es die einzige Gaststätte in Königslutter  gewesen sein. Im 30jährigen Krieg wurde sie zerstört, und die Schankgerechtigkeit ging Ende des 17. Jahrhunderts auf den Stadtkeller am Marktplatz über, der auch gleichzeitig Rathaus war.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts ist der Bereich vor dem Eingang zur Burg, auf dem sich noch Reste der Vorburg befanden, unbebaut.
Um das Jahr 1837 gab es dort Kastanien, Pappeln und Nußbäume. Dieser mit Großbäumen bestandene Platz – er hieß nun Amtsplatz – war ein beliebter Treff für die Bewohner der Stadt, und auch von den Kindern und Jugendlichen wurde er als Spiel- und Aufenthaltsbereich genutzt.
Zerstört wurde dieser historisch überlieferte Bereich im Zuge der Industrialisierung.
In unmittelbarer Nachbarschaft entstand u. a. eine große Zuckerfabrik, die noch heute wesentlich das Stadtbild prägt.
Zuerst wurde dieser Platz, wo die Bäume standen, als Zufahrt zu den neuen Industrieanlagen genutzt. Es gab dann wohl Beschwerden, und die Einfahrt wurde verlegt. Den Wünschen der Fabrikbesitzer wurde jedoch insofern stattgegeben, als Teilflächen des Platzes  an diese abgetreten wurden. Auf einem kleinen, noch verbliebenen Teil baute die Stadt ein schmuckloses Gebäude für die Feuerwehr.
Währen der Bauarbeiten in den 60er Jahren ist ein Parkplatz angelegt worden. Reste der Vorburg und auch des Gerichtsgebäudes, welches sich unmittelbar an das Burgtor anschloss und durchaus sanierungswürdig war, sind zu diesem Zeitpunkt abgerissen worden. Die Lutter wurde in diesem Bereich verrohrt und zugeschüttet. Ausgrabungen wurden nicht vorgenommen, obwohl dieser geschichtsträchtige Bereich vielleicht Auskunft über frühe sielungsgeschichtliche Abläufe hätte geben können.

Koenigslutter Marktplatz Karte 1799
Zeichnung aus dem Jahre 1799: „Der Marktplatz in der Stadt Königslutter.“
Deutlich ist der Pflasterstreifen für die Fahrspur von Fuhrwerken zu erkennen.Sie war ca. 4 m breit. Das Pflaster der den Marktplatz begrenzenden Wohnhäuser hat ein Maß von ungefähr 4,50 m Breite. Auch der große solitäre Baum ist eingetragen.


Der Ort
Einer der nächsten „Keimzellen“ war das Dorf Lutter. Im 12. Jahrhundert gab es bereits in unmittelbarer Nähe  zum bestehenden Stift an der alten Heer- und Handelsstraße eine Marktsiedlung. Das war die berühmte Ost-West-Achse, die von Aachen über Paderborn, Hildesheim, Braunschweig, Königslutter weiter nach Berlin und schließlich nach Königsberg führte.
Später war es die Reichsstraße 1. Diese alte Heerstraße soll im Bereich Lutter aber ursprünglich nicht dem heutigen Verlauf der Bundesstraße 1 entsprochen haben. Marktflecken und Stift jedoch befanden sich wahrscheinlich in unmittelbarer Nähe zu dieser Handelsstraße.
Später entstand im Bereich dieser ursprünglichen Ansiedlung die Landgemeinde Oberlutter. In einer schriftlichen Beschreibung , die im Zusammenhang mit einer Landvermessung (1755) entstand, wird gesagt: „Oberlutter hat zwar nur den Namen und die Gerechtigkeit eines Dorfes, es kann aber im gewissen Betracht für eine Vorstand von Königslutter gehalten werden.“
Es wird über Jahrhunderte also immer zwischen Oberlutter und der eigentlichen Stadt Lutter (auch Unterlutter oder eben Königslutter genannt) unterschieden.
Ursprünglich waren wohl beide „Ortsteile“ getrennt und mit Mauern umgeben.
Das Dorf Oberlutter wurde ursprünglich vor allem von Hörigen des Klosters und er Burg besiedelt. Sicher ist, daß Oberlutter im Herzogtum Braunschweig als ein armes Dorf galt. Ursache hierfür war vor allem , dass die Bauern kaum über eigenes Land verfügten, denn die zu Oberlutter gehörende Feldmark gehörte nur ganz wenigen.
Haupterwerb war nicht Viehzucht und Ackerbau, sondern überwiegend einfaches Handwerk, vor allem die Weberei und eben die Lohnarbeit. Es gab besonders viel Leineweber in Oberlutter. Das Garn wurde aber nicht im Ort hergestellt, sondern kam aus Königslutter oder anderen Orten. Was die Brauerei betrifft, so war nur in einem einzigen Haus in Oberlutter gestattet, Duckstein-Bier zu brauen. Aber der Bauer durfte dieses Bier nicht im Ort an die vorhandenen Gaststätten verkaufen, sondern musste es auswärts veräußern.

Koenigslutter Bauakte Marktstrasse 1895
Ausschnitt aus einer Bauakte, Zeichnungen (13. 8. 1895):
Marktstraße/Amtsgasse.
Interessant sind bei dem dargestellten Lageplan die Markierung des Bürgersteigs in der Amtsgasse auf der nördlichen Seite und die technischen Angaben zur Oberflächenausbildung, die in der Handskizze im Maßstab 1:100 dargestellt wurden.Die Plattenbreite wird auf der Lageskizze mit 1,50 m angegeben.


Die Stadt Lutter (Königslutter)
Zur Entstehung der Stadt schrieb ein Historiker, daß mit der Verwandlung des Dorfes in die Stadt Lutter, die nicht lange vor 1318 erfolgt sein kann, eine „völlige Neuanlage“, und zwar eine „planmäßige Anlage“  des Ortes auf der Stelle des alten stattgefunden hat.
Im 15. Jahrhundert kam es nachweislich bereits zu einer planmäßigen Stadterweiterung, die durch den Zuzug von Bauern aus Schöderstedt erforderlich wurde, da diese ihre dörfliche Ansiedlung verließen.
Es gibt eine Urkunde aus dem Jahre 1454, in der „die notwendigen Schritte zur Stadterweiterung und damit auch zur Übersiedlung der Schöderstedter“ erwähnt werden. Die Hauser der Zugezogenen waren kleiner als die der Alteingesessenen angelegt.
Die Neuansiedlung erfolgte in Fluchten, und somit bildeten sich neue Straßenführungen heraus.
Als Beispiele seien hier die Neue Straße (der Name ist heute noch vorhanden), die Lutterstraße, aber auch Am Sack, Gänsemarkt und Kattreppeln erwähnt.

Koenigslutter Karte Strassen

Nach dieser regen Bautätigkeit mussten auch die Stadttore verlegt und die Mauern um die Neuansiedlung gezogen werden. Diese Stadtmauern existierten noch Ende des 18. Jahrhunderts; sie umgaben wohl den Ort vollständig.

Zur Landwirtschaft
Um den Alltag in dieser kleinen Stadt nachvollziehen zu können, sei kurz noch etwas über den für Jahrhunderte wichtigsten Produktionszweig für die Mehrheit der Bevölkerung gesagt: Ackerbau und Viehzucht.
Auf der einen Seite wurde also Landwirtschaft und Viehzucht betrieben, auf der anderen Seite gingen viele Anwohner, besonders diejenigen, die im Marktbereich lebten, dem Brauen von Bier oder dem Brennen von Branntwein nach.
Besonders in den Gebäudeanbauten kann man heute noch diese unterschiedlichen Nutzungen rekonstruieren. Die Gilde der Brauer – also die Brauereiinnung – nahm in der Stadt eine besonders wichtige Position ein. Das Bier, das in viele andere Städte wie z. B. – 1769 – nach Berlin, Potsdam, nach Stendal, Salzwedel, Hildesheim, Leipzig und noch in andere Städte geliefert wurde, war ein wichtiger Produktionszweig und Existenzgrundlage für viele Bürger. Es wurde in großen Holzfässern gelagert (z. B. in den Kellern der Vorderhäuser; ein sehr schönes Gewölbe ist in der Marktstraße 1 zu besichtigen) und mit Pferdefuhrwerken transportiert.
Im 17. Jahrhundert war für die Bürger der Stadt die Bierbrauerei eine wichtige Einnahmequelle.
1672 gab es bereits über 50 Brauer. Die wohlhabendsten wohnten und arbeiteten in den Gebäuden am Markt. Im 18. Jahrhundert wurde das bekannte Duckstein-Bier (ein obergäriges Weizenbier) exportiert.
Einer der größten Brauhöfe in der Stadt befand sich auf dem Grundstück Markt 3
(Nr. Ass. 1).
Dieser betrieb sowohl das Brauereigewerbe als auch Landwirtschaft. Es ist belegt, dass bereits 1685 einerseits die Braunahrung besteuert wurde, andererseits aber auch das Viehzeug. Bei diesem Eigentümer waren es vier Pferde, vier Kühe, drei Rinder, Schafe und noch andere Tiere. Außerdem stand bei diesem Bauern auch noch der Zuchtbulle der Stadt. Daher kommt auch für den Durchgang zwischen Hausnummer 2 und Hausnummer 3 am Markt die Bezeichnung „Bullentwete“. Der Weg führte zur Amtsmühle und eben auch zu den Nebengebäuden und Ställen dieses Gehöftes.
Auch das danebenliegende Grundstück – heute Markt 4 – war ursprünglich ein Haus, in dem sowohl Bier gebraut als auch Landwirtschaft betrieben wurde.
Im Jahre 1685 gab es dort z. B. drei Pferde, vier Rinder und sechs Schafe. Bis in das Jahr 1649 sollen Markt 3 und Markt 4 ein einziges großes Gehöft gewesen sein. Durch familiäre Gegebenheiten und Teilung entstanden dann die zwei jetzt noch vorhandenen Grundstücke. Der Apotheker (Markt 4) hat bis Anfang des vorigen Jahrhunderts noch die „Braugerechtsame“ ausgeübt. Die fürstliche Cammer von Braunschweig kaufte das Grundstück und richtete eine „Fürstliche Apotheke“ ein.

Die Stadtentwicklung bis Ende des 19. Jahrhunderts
Wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt war die gute geografische Lage an den Handelsstraßen. Neben dem üblichen Handel und der Verbindung mit dem Wallfahrtsort Königslutter war auch der Abbau von Elmkalkstein für die Stadt von Bedeutung. Die Steinbrüche laben im Elm und wurden schon sehr früh genutzt.
Bereits seit dem 11. Jahrhundert wurden eigene Baustellen, vor allem die Baustelle der Stiftskirche, beliefert.
Neben dem Elmkalkstein  wurde auch noch Kalktuff (auch Duckstein genannt) als Baumaterial verwendet.
Auch für Wohngebäude (besonders im Gründungs- und Sockelbereich und zur Ausfachung des Holzfachwerkes) wurde dieser Stein oft verwendet. Bis in die heutigen Tage ist diese Materialverwendung bei Baumaßnahmen in der Innenstadt ein wichtiger Aspekt.
Ende des 18. Jahrhunderts wohnten in Königslutter 1437 Bürger, die reichsten waren Branntweinbrenner, Kaufleute und Apotheker.
Das 19. Jahrhundert brachte die Gewerbefreiheit, und damit erfuhr auch der Handel mit Produkten einen Aufschwung. Der Getreide- und Futtermittelhandel nahm zu. Dagegen verringerte sich in der Stadt die Ausübung des Braugewerbes wesentlich. Diese Entwicklung vollzog sich im 19. Jahrhundert, und Ende des vorigen Jahrhunderts gab es in Königslutter keine Brauer mehr.
Die Industrieansiedlung (zwei der wichtigsten um 1850) waren vor allem in der Stadt die Zuckerfabriken. Als ein anderer Industriezweig bildete sich der Abbau und Handel mit Naturstein heraus.
Erst nach lang währenden Verhandlungen wurde 1924 die Stadt Königslutter, Oberlutter und das Stift Königslutter zusammengelegt.

Koenigslutter Foto Marktplatz 1870
Blick auf die nordwestliche Marktseite. Historisches Foto, entstanden um das Jahr  1870.
Hinter dem Leiterwagen die Westernstraße, die damals der Hauptfahrbereich nach Braunschweig war. Bäume sind im gesamten Platzbereich noch nicht gepflanzt worden. Vor dem Rathaus stehen Kandelaber und die Pumpe.


Geschichtliche Aspekte zur städtebaulichen Situation
Frühere Nutzung auf dem Marktplatz – Marktbetrieb
Der Hauptstraßenverlauf war in Lutter immer aus Richtung Braunschweig nach Helmstedt, also von Nordwest nach Südost und umgekehrt.
Mittelpunkt der Stadt war und ist der Marktplatz. Er ist seit seiner ursprünglichen Entstehung rechteckig. Wahrscheinlich war seine Ausdehnung im Mittelalter noch etwas größer. Auf jeden Fall sind das Eckhaus Nr. 10 und das Nachbarhaus als Ergänzung hinzugekommen. Die Braunschweiger Herzöge verliehen Königslutter um 1300 die ersten Marktrechte. Nur einmal im Jahr gab es Markt in jener Zeit.
Schriftstücke aus dem 17./18. Jahrhundert genehmigten, dass auch mehrmalige Vieh- und Jahrmärkte im Jahr erlaubt wurden. Die Termine legte eine herzogliche Verordnung aus dem Jahre 1713 genau fest.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde immer noch auf dem Marktplatz Markt abgehalten. In jener Zeit fanden drei Jahrmärkte statt. Vorrangig waren auf diesen Märkten Schumacher, Nadler, Honigkuchenhändler, Mützenmacher, Töpfer, Heringshändler und Drechsler vertreten.Seit 1884 gab es dann eine neue Marktordnung, die in Selbstverwaltung von der Stadt erlassen worden war. Viehmärkte fanden auf dem Marktplatz nicht mehr statt, sondern in anderen, unmittelbar angrenzenden Bereichen, z. B. in der Neuen Straße, in der Westernstraße  und auf dem Zollplatz, er an einem der ursprünglichen mittelalterlichen Stadteingänge im nordwestlichen Bereich liegt.

Die Gerichtsstätte
Als Gerichtsstätte diente im Mittelalter eine Stelle, die als „Lindenberg“ bezeichnet wird. Dort war wahrscheinlich ein kleiner Hügel, auf dem sich tatsächlich eine Linde befand. Der Baum soll im Jahre 1721 gefällt worden sein.
Im Ratsbuch der Stadt wird zweimal über Hinrichtungen aus dieser Zeit (1475/1488) berichtet. Der genaue Standort des Gerichtspfahles, der zu dieser Gerichtsstätte gehörte, wo die Linde früher stand, ist in einer aus dem Jahre 1721 gezeichneten Karte auch klar ersichtlich. Jener Lindenberg soll jedoch damals (um 1720) nicht mehr als Hinrichtungsstelle gedient haben, sondern als Pranger. Die letzte Hinrichtung (es war eine Frau namens Maria Dettin) fand im Jahre 1720 statt. Diese Hinrichtung soll auf dem Marktplatz vollzogen worden sein, jedoch nicht als Gerichtsstätte, sondern vor dem Hause des Bauern Königsdorf.

Das Wachthaus
Es wurde im Jahre 1731 für Dragoner (leichte Reitergruppen) errichtet. Ursprünglich stand es auf der bereits beschriebenen Stelle – Marktstraße/Ecke Amtsgasse. Es wurde dann jedoch auf den Marktplatz verlegt und befand sich direkt im südlichen Teil ders Marktplatzes. Das Wachthaus stand noch im Jahre 1802: „Unter ihre besseren Gebäude gehören das Rathaus am Markt, eine altes, massives Gebäude, auf welchem sich der Magistrat versammelt und der Stadtkeller befindlich ist, vor demselben liegt auf dem Markt ein Wachthaus…“
Im Jahre 1782 wurde verfügt, wie die Löscheinsätze durch die Gemeinde zu organisieren seinen. Dazu schreibt ein Historiker, dass in Königslutter die „Viertelmeister und Feuergeschworenen“ sich zuerst mit „Wehr und Waffen“ auf dem Stadtmarkte am so genannten Wachthause“ zu versammeln hätten. Daraus lässt sich schlußfolgern, daß dieses Haus zu jener Zeit zwar nicht mehr als Wachthaus genutzt wurde, die Löschgeräte jedoch dort untergebracht waren.
Aufgrund der immer wieder auftretenden schweren Feuer in der Stadt ordnete der Herzog im Jahre 1744 an, daß neu zu errichtende Gebäude einen Schornstein haben müssen. Und kurze Zeit später wurde Vorschrift, daß Dacheindeckungen mit Ziegeln vorzunehmen sind. Um dieses Baumaterial ausreichend zur Verfügung zu haben, wurde vor dem Braunschweiger Tor eine Ziegelei gebaut. Die Stadtansicht hat sich durch die im 18. Jahrhundert langsam wechselnden Dacheindeckungen dann sehr stark geändert. Aus Strohdächern wurden rote Ziegeldächer.

Koenigslutter historisches Foto Marktplatz
Historisches Foto vom Marktplatz
Erhöhter Standort (wahrscheinlich aus dem Rathaus heraus fotografiert), Blick nach Süden. Deutlich erkennbar die Art der Pflasterung im Gehweg- und „Fahrbereich“ des Marktplatzes.


Der Brunnen
Auf dem Marktplatz befand sich über Jahrhunderte ein großer Brunnen. Dieser ist später beseitigt worden (im Jahre 1910 wurde in der Stadt eine Trinkwasserleitung verlegt).
Bei Tiefbauarbeiten vor einigen Jahren wurde der Schacht wieder entdeckt (unmittelbar neben dem heutigen Fußgängerüberweg).  Wahrscheinlich war es früher zuerst ein Ziehbrunnen, der später mit einem Aufbau und einer Handpumpe versehen wurde. Ein Wasserlauf führte auch unter dem Rathaus, heute Marktplatz 1, hindurch. Auch der Baugrund ist in diesem Bereich sehr schlecht.

Die Laterne
Seit Ende des vorigen Jahrhunderts hat unmittelbar neben dem Brunnen eine relativ große Gaslaterne gestanden, ein Kandelaber. Sie wurde zu besonderen Anlässen angezündet und war zur damaligen Zeit die einzige Beleuchtung des Platzes. 1922 stand an demselben Standort bereits eine andere, etwas einfacher gehaltene Ausführung der Gaslaterne. Sie stand auf einem kleinen Steinsockel und bestand aus Guss, der im Sockelbereich verziert war.

Koenigslutter Foto Markt mit Kandelaber 1870
Historisches Foto vom Marktplatz aus dem Jahr 1870:
Östliche Marktseite mit dem Kandelaber und Brunnenaufsatz


Zur Bebauung des Marktplatzes
Die mittelalterliche bauliche Struktur hat zwar durch Brände, Kriegszerstörungen, durch den Abriss und Wiederaufbau von Gebäuden und anderen baulichen Anlagen wesentliche Änderungen erfahren, die massiven Eingriffe der Nachkriegszeit bis in die jüngste Zeit haben jedoch die bis dahin einheitliche bauliche Innenstadt mehr verändert als jahrhunderte lange Bautätigkeit zuvor.
Der Marktplatz und die Marktstraße werden durch aneinander gebaute zwei- und dreigeschossige Häuser gebildet. Im Norden wird der Platz durch das wichtigste öffentliche historische Gebäude der Stadt begrenzt, das Rathaus (auch Stadtkeller genannt). An der westlichen Seite dieses nach Norden durch später angefügte Ergänzungen lang gestreckten Gebäudes vorbei führt die Bundesstraße 1. Sie war jahrelang durch die Westernstraße („Braunschweiger Straße“) geführt worden. Aufgrund des ansteigenden Fahrverkehrs wurde der Verlauf geändert. Auf der anderen Seite führte ein schmaler Durchgang zur Stadtkirche. Bis in das Jahr 1832 war um die Kirche herum der Friedhof für die Stadt angelegt. Vor dem Haupteingang zur Kirche soll sich noch eine Totenkammer befunden haben, die aber im Jahre 1841 dann abgerissen wurde.
Die Bautätigkeit in den Wohnhäusern der Stadt war so stark durch die häufigen Brände und auch durch Kriegseinwirkungen bedingt (besonders der 30jährige Krieg zog die Stadt in Mitleidenschaft).
Der Verlauf der Heerstraße führte nachweislich seit Anfang des 18. Jahrhunderts, wahrscheinlich schon viel früher von Süden kommend über den Markt, durch das Braunschweiger Tor, wieder hinaus aus der Stadt.
Dieses städtebauliche Raster blieb über Jahrhunderte erhalten. Geschlossen wird der Platzraum erst durch das in der Marktstraße 12 liegende Gebäude, das knapp einen Meter aus der Flucht in den Straßenraum ragt. Dieses Gebäude war erst um 1650 errichtet worden.
Auch die Topographie ist für das Erleben der stadträumlichen Situation wichtig. Abgesehen davon, daß das Geländeprofil mit den daran angeordneten Bauten für die Silhouettenbildung von großer Bedeutung war, ist aber auch die stadträumliche Wirkung der Straßen, Plätze und Gassen in hohem Maße davon abhängig. Dies wiederum trägt zur Unverwechselbarkeit einer Stadt bei.
Das Gelände steigt im Innenstadtbereich von Nord nach Süd an.
Der Dom, der sich im Süden der heutigen Stadt befindet, steht „oben“ und prägt die Stadtsilhouette. Diese Geländebewegung, die sich also über die gesamte Stadt zieht, ist auch auf dem Marktplatz deutlich erlebbar. Das Gelände steigt hier von der Bahnhofstraße bis zum Ende der Marktstraße (soweit ist es vom Rathaus aus einsehbar) an.
Durch Aufschüttung und auch durch die massiven Straßenbaumaßnahmen nach 1945 ist der Markt im Fahrbahnbereich noch stark überhöht. Die Fläche fällt zu den Gebäuden auf der östlichen Seite sehr ab. Mit Sicherheit ist diese Situation ein fremdes Element in der topographischen Ausbildung des Innenstadtbereiches.

Die Ausbildung der Oberfläche im öffentlichen Raum
Im Zusammenhang mit einer Vermessung (im Jahre 1770) wurde notiert, daß 530 rote Steinpflaster in der Stadt Königslutter vorhanden waren. Die großen Pflasterarbeiten sind wahrscheinlich im Sommer des Jahres 1770 vorgenommen worden. Der in der Stadt ansässige Steinsetzer hat in jenem Sommer zusammen mit
6 fremden Gesellen“ die Stadt gepflastert.
Bis zum Jahre 1824 waren jedoch die Straßen Kattreppeln (die Verbindung zwischen Königslutter und Oberlutter), Neue Straße, Gänsemarkt und Tweete (Mittelgasse) noch nicht befestigt. Daraus kann geschlußfolgert werden, daß die wichtigste befahrene Straße, wovon ein kleiner Abschnitt südlich Teile des Marktes waren (also bis zur Braunschweiger Straße, jetzt Westernstraße), seit dem Jahre 1770 durch Pflasterung dauerhaft befestigt worden war.
Es war eine breite „Fahrspur“ gepflastert, die pragmatisch dem Verlauf der Fuhrwerke entsprach. Später wurden die Randbereiche durch kleinteilige Pflasterungen ergänzt bzw. im Bereich des Marktes, der Marktstraße und auch der Amtsgasse Bürgersteige angelegt.
Dies könnten Ansätze sein, um eine Rückbau des Planungsgebietes mit solch früh vorhandenen Bewegungsabläufen sinnvoll neu erlebbar zu machen.
Im 19. Jahrhundert wurde durch die im Jahre 1827 für die Stadt Königslutter erlassene Straßenpolizeiordnung der öffentliche Raum, also die Straßen, Gassen und Plätze, „städtisch“ gemacht, und radikal wurden verschiedene Nutzungsbereiche „angeordnet“.
Diese neuen Einschränkungen im Alltag begannen damit, daß das Ausklopfen von Bettzeug auf den Straßen nicht mehr erlaubt war und sogar in dieser Polizeiordnung Strafe bei derartigen „Vergehen“ angedroht wurde. (Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß der Bereich um die Stadtkirche von dieser Regelung ausgenommen war.)
Die Funktionstrennung geht bereits soweit, dass „auf den Fußwegen oder Trottoirs“ nicht mehr überall mit Schiebekarren, Holzschlitten oder anderem Gerät gefahren werden durfte. Dabei war es unerheblich, ob diese Transportgeräte beladen oder unbeladen waren.

Koenigslutter Karte 1761

Besonders interessant für die in der Zeit gängige „Möblierung“ des öffentlichen Raumes ist, dass in o. a. Stadtpolizeiordnung „Bänke, die quer über die Fußsteige und nicht in die Länge an den Häusern heruntergesetzt sind oder sonst die Fußpassage beengen und hindern, sowie offene Gossensteine... überall nicht mehr geduldet werden…“  Ältere Bürger können sich noch an die ursprüngliche Pflasterung in der Stadt erinnern. Die Platten auf den Fußwegen sollen rötlich geschimmert haben. Wahrscheinlich war bei der erstmaligen Herstellung dieser Bürgersteige als Plattenbelag roter Wesersandstein verwendet worden.

Koenigslutter Innenstadt Skizze Thoemmes
Grundrissstruktur/Parzellierung des Innenstadtbereiches und Skizze
(Blick nach Norden, auf das Rathaus und die Stadtkirche) des wichtigsten Ensembles in diesem Bereich (ursprünglicher Verlauf der Amtsgasse als durchbrochene Linie eingetragen).


Im Bereich des Marktes wurden diese Platten senkrecht zu den Hauseingängen und in der Mitte des Bürgersteiges verlegt. Unmittelbar am Haus gab es einfache, grobe Pflasterung (evtl. Steine von den Äckern).
Als Randbegrenzung Bürgersteig/Fahrgasse diente bereits ein Bordstein.
Selbst in die relativ schmale Gasse zum Amtsgericht, also in der Amtsgasse, wurde der sogenannte Bürgersteig eingeführt.

Begrünung und Bepflanzung des Stadtmarktes
Wie bereits erwähnt, gab es auf dem Marktplatz im Mittelalter einen Hügel, daneben stand ein Lindenbaum. Auf den historischen Karten sind keine Baumpflanzungen eingetragen.
Auf alten Fotografien sieht man, daß es um das Jahr 1870 noch keine Bäume auf dem Platz gab. Nur ein älterer Baum stand an der Gebäudekante neben dem Haus Marktstraße 1. Dies war immer ein altes Brau- und Handelshaus.
Bereits im Jahr 1910 hatte der Platz jedoch durch vielfältige Veränderungen einen völlig anderen Charakter erhalten: Er war „gestaltet“ worden.
Um die Jahrhundertwende wurden die Linden vor dem Hotel (heute wieder Ratshaus) und die anderen Laubbäume gepflanzt. Sie wurden jedoch noch auf die bestehenden Bürgersteige gesetzt, sondern, wie die Fotos genau belegen, in die Pflasterung der Straßenfläche eingelassen.
Der Baum als Schmuckelement für einen Platz (und nicht, um Nutzholz zu gewinnen!) wurde wohl bewußt das erste Mal vom Eigentümer des damaligen Stadtkellers eingesetzt.
Die Bäume wurden vor dem Haupteingang symmetrisch gepflanzt und sollten den Eingangsbereich des Hotels repräsentativer machen. In der Bauakte (1925) wird das wie folgt eingeschätzt: „Die vor dem ‚Hotel zum Stadtkeller’ rechts und links des Treppenvorbaues stehenden beiden Linden sind von dem früheren Stadtkellereieigentümer Kalberlah während dessen Besitzzeit gepflanzt. Sie stehen jedoch auf städtischem Grund und Boden, sind also nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts Bestandteil dieses städtischen Grundstücks und damit Eigentum der Stadt. Da Bäume an ihrem Standort eine wesentliche Zierde bilden, erkennt die Stadt gegenüber Herrn Döhrmann an, daß sie die Bäume ohne seine Einwilligung nicht beseitigen wird…“

Koenigslutter Schwarzplan Thoemmes

Einschätzung der stadträumlichen Situation
Soll Kontinuität das Stadtbild als Ausdruck eines engen Zusammenhanges von Nutzung und entsprechender Form prägen? Eine Wertung entwicklungsgeschichtlicher Vorgänge in stadträumlicher und stadtgestalterischer Sicht  erfolgt bei jeder Art von Planung und Umgestaltung.
Stadträumliche Aspekte könnten bei gestalterischen Überlegungen im Zusammenhang mit den entsprechenden früheren und heutigen Nutzungen gesehen werden.
Eine „Verarbeitung“ historischer Abläufe und Gegebenheiten können durchaus mit zeitgemäßen architektonischen Mitteln erfolgen.
Den Marktplatz des Mittelalters gab es schon mehrere Jahrhunderte auch in Königslutter nicht mehr. Jedoch zeigt die Analyse der historischen Entwicklung im Marktbereich und an der früheren Burganlage, daß die heutige Grundrißform der Stadt bis in die frühe mittelalterliche Zeit zurückweist.
Dieser Stadtgrundriß hat bis ins vorige Jahrhundert hinein die Lebensbedürfnisse und dem Maßstab seiner Bewohner und Besucher entsprochen. Noch weiterer Verlust an räumlichen und damit funktionalen Gegebenheiten macht den intellektuellen Zugang zur Stadtgeschichte dann fast unmöglich.
Keinesfalls sollte auf weiterer Altbausubstanz verzichtet werden. Sonst wäre auch die Identität der Stadt gefährdet.
Historische Rückschlüsse könnten auch durch bauliche Maßnahmen der verschiedensten Art sozusagen wieder „ins Leben gerufen werden“, als sinnvolle Vernetzung von Altem und Neuem.
Ausgehend von den hier beschriebenen überlieferten Gegebenheiten könnten folgende Maßnahmen sein:

  • das Öffnen des Lutterbaches,
  • der Rückbau der Oberflächentextur der Marktfläche u. a. m.
Welcher historische Zeitpunkt im Sinne der Stadtbildpflege Ausgangspunkt von Gestaltungsüberlegungen sein könnte, hängt vom gewünschten Charakter der Stadträume ab. Miteinander verknüpfte Bereiche wie z. B. wichtige fußläufige Verbindungen sollen Straßenräume, aber auch Einzelbauten und im Stadtgrundriß wichtige Punkte wieder erlebbar machen.
Überschaubare menschliche Räume für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, gleichberechtigte Nutzung der öffentlichen Bereiche, Gestaltung von halböffentlichen Zonen in der Innenstadt, Aufwertung der ökologischen Komponente und damit die Schaffung einer unverwechselbaren Stadt wären ein akzeptables Ergebnis bei der Suche nach der zukünftigen Stadt.

Weiterführende Literatur
Röhr, H., Stift und Stadt Königslutter in zeitgenössischen Darstellungen, 1984, S. 50,
aus: „Geographisch-statistische Beschreibung der Fürstentümer Wolfenbüttel und Brandenburg“ von Hassel und Bege.
Röhr, H., Geschichte der Stadt Königslutter, 1981.
Lüders, A., Königslutter, Oberlutter und Stift Königslutter im 18. Jahrhundert, 1902.


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